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Die unbequeme Wahrheit über die Digitalisierung der Logistik

Matthias Graber • 14. Januar 2025

Die unbequeme Wahrheit über die Digitalisierung in der Logistik

„Mache die Dinge so einfach wie möglich - aber nicht einfacher.“


- Albert Einstein


In den vergangenen Jahren haben sich die technologischen Möglichkeiten vervielfacht und das hat zu einem Wachrütteln in der Logistikbranche geführt. Begriffe wie Internet of Things, Künstliche Intelligenz, Big Data Analytics und Digitale Plattformen haben sich in der Branche etabliert. Wenige Branchen haben einen so grossen Umbruch erlebt, wie dieser in der Logistik grade stattfindet. Trotzdem sind viele unzufrieden mit den Fortschritten. Transporteure bringen in der Digitalisierung weit weniger Pferdestärken auf den Boden als sie dies auf der Strasse tun. Woran liegt es, dass die Digitalisierung gerade in der Logistik oft eher in der Pferdekutsche unterwegs ist?


Die Welt der Logistik und Supply Chain ist ständig in Bewegung. Unternehmen stehen vor der Herausforderung, sich an neue Anforderungen und Entwicklungen anzupassen, um in einer globalisierten und dynamischen Geschäftswelt wettbewerbsfähig zu bleiben. Trotz der erheblichen Anstrengungen und Investitionen, die in Veränderungsprogramme im Bereich Logistik und Supply Chain gesteckt werden, zeigt sich eine unangenehme Wahrheit: Die Mehrheit dieser Programme scheitert. Diese Tatsache wird im Artikel "The Inconvenient Truth About Change Management" von Scott Keller und Carolyn Aiken aus dem Jahr 2009 aufgedeckt. Doch was hat das mit der digitalisierten Logistikwelt von heute zu tun? Die Digitalisierung hat gerade das Ziel, die Prozesse zu vereinfachen, zu verschlanken und dadurch kostentreibende Arbeiten zu automatisieren. Das bedeutet in der Logistik nicht selten, dass die Zusammenarbeit über die gesamte Wertschöpfungskette neugestaltet werden muss - das führt genau zum Gegenteil, was es eigentlich sollte: die Komplexität nimmt zu.


Die trübe Erfolgsbilanz von Veränderungsprogrammen in der Logistik


Gemäss einer Umfrage vom Capgemini Research Institute (Patwardhan et al., 2018) mit über 1000 Organisation im Bereich Logistik und Supply Chain waren nur 14 Prozent der Organisation in der Lage wenigstens eines ihrer digitalen Initiativen grossflächig auszurollen. Damit stellt dies eine noch trübere Erfolgsbilanz dar, als dies bei früheren Studien rund um IT-Projekte ermittelt wurde (siehe Kroker 2018, Whitney and Daniels, 2013). Eine der grössten Herausforderungen stellte dabei gemäss Bastiaan Westhoff, Supply Chain Direktor von Bombardier, das Change Management dar (vgl. Patwardhan et al., 2018, S. 19). Die Hauptbarriere, auf die die meisten Veränderungsprogramme stossen, ist paradoxerweise genau das, was sie zu transformieren versuchen: die Einstellungen der Mitarbeiter und das Verhalten des Managements. Bereits im Jahr 1995 bemerkte John Kotter, dass nur 30 Prozent aller Change Programme erfolgreich waren. Er schlug daraufhin ein 8-phasiges Veränderungsmanagement vor (Kotter, 2007). Einige Jahre später, im Jahr 2008, kam die Ernüchterung, als McKinsey & Company in einer Umfrage den Erfolg von Veränderungsprogrammen erhob: unverändert bei 30 Prozent. In der Welt des Change Management scheint sich nicht viel verändert zu haben. Noch schlimmer: im Bereich Logistik und Supply Chain Management scheint die Erfolgsquote noch schlechter zu sein. Jetzt könnte man schnell auf den Rückschluss kommen, dass die ganzen neuen Management-Ansätze nichts bringen. Besser lassen wir alles beim Alten. Oder wie es in der IT gerne heisst: «Never change a running system». Das wäre jedoch ein gefährlicher Trugschluss, denn die Welt dreht sich schneller als je zuvor und wer jetzt den Zug der Digitalisierung verpasst muss bald zusehen, wie die jungen Wilden an ihm vorbeifahren.


Die unbequeme Wahrheit über die Digitalisierung in der Logistik


Denn was wir über die vergangenen Jahre in Betracht ziehen müssen, ist dass sich die Komplexität von Projekten massiv erhöht hat. Gerade bei IT-Projekten scheint es eben ein erhebliches Potenzial an Unsicherheiten zu geben, zumal es unmöglich geworden ist, die Aufwände und Projektdauer von Beginn weg richtig einzuschätzen. In der Logistik hat die Komplexität in den vergangenen 20 Jahren überproportional stärker zugenommen. Lange Zeit wurde die Logistik einfach als Kostentreiber verstanden, der möglichst klein gehalten werden musste. Wo sich ein Logistik-Projekt früher darauf beschränkte, eine neue Beschaffung zu tätigen oder ein neues Gebäude zu planen, hat sich die Versorgungskette heute zum wichtigsten Datenlieferanten in der organisatorischen Abwicklung entwickelt. Die Digitalisierung wurde auch bald als Effizienzgewinn verstanden und heute sind die meisten Logistikprojekte auch gleichzeitig Vorhaben zur Digitalisierung. Projekte im Bereich «Procurement und Supply Chain» gelten als diejenigen mit dem höchsten Renditepotenzial (vgl. Patwardhan et al., 2018, S. 6). Software-Entwicklung allein bringt bereits eine enorme Komplexität mit sich, viele Logistik-Projekte setzen da noch eins drauf: da die Logistik in der Regel eine Querschnittsfunktion ist, braucht es oft Abstimmung und den Einbezug von diversen Abteilungen und Stakeholder, was eben nicht nur eine technische Komplexität, sondern auch eine organisatorische Komplexität mit sich bringt. Die unbequeme Wahrheit über die Digitalisierung in der Logistik ist, dass sie bestehende Strukturen angreift und dadurch das Machtverhältnis in der Organisation neu mischt. Gleichzeitig bringt sie eine technische Komplexität mit, was sie angreifbar für interne Machtspielchen und Widerstände macht.


Es braucht einen neuen Ansatz, wie Digitalisierungsprojekte umgesetzt werden


Bei der Digitalisierung der Geschäftsprozesse braucht es eine gesamtheitliche Herangehensweise, das Big Picture, welches ein Zielbild über die spätere Lösung vermittelt. Aber es braucht eben genauso den Mut Entscheidungen zu treffen und voranzuschreiten. Dies ist keine leere Phrase, sondern der beste Weg, effektiv zu lernen. Dazu muss man sich von den bisherigen Abhängigkeiten und Glaubenssätzen lösen. Es braucht einen geschützten Bereich in dem ein neue Konzepte getestet und erprobt werden können. Das ist vergleichbar mit einem Startup in der Unternehmung selbst: Gute Ideen werden geboren – doch nur die besten Ideen überleben diese Phase. Erst wenn sich eine Idee über mehrere Stufen bewährt hat, wird sie in eine Pilotphase übergeben. Durch die Pilotphase werden technische Lücken geschlossen und es findet bereits eine erste Bekanntmachung der Idee mit dem operativen Geschäft statt. Falls die Pilotphase erfolgreich war, kann die Idee auf die Gesamtunternehmung skaliert werden. Entlang dieses Prozesses braucht es eine gute technologische Vorbereitung der Organisation, denn oft müssen erst Altlasten beseitigt werden, bevor die Pilotphase losgehen kann.


Was hat dies nun mit Change Management zu tun? Diese 'Startups' sind eben nicht isolierte Sitzungszimmer-Manager sondern da arbeiten die betroffenen und motivierten Personen direkt selbst mit. Das macht den Alltag nicht nur spannender, sondern man erlebt direkt selbst, was funktioniert und was nicht. Es findet ein Austausch statt, wodurch die Benutzer danach auch Teil der Lösung sind. Der wichtigste Punkt dabei ist aber der: innerhalb dieser Startups können Abhängigkeiten getrost einmal ausgeklammert werden und die Gedanken können sich auf das Kernproblem konzentrieren. Sobald eine gute Lösung für das Kernproblem gefunden wurde, kann diese in das Gesamtproblem integriert werden. Das funktioniert nicht immer, aber die Lernkurve ist wesentlich höher, als wenn man versucht, die ganze Welt auf einen Streich zu retten.




Quellen:


Keller, S., & Aiken, C. (2009). The Inconvenient Truth About Change Management. 20. 

 

Kotter, J. P. (2007). Leading change: Why transformation efforts fail. In Museum management and marketing (S. 20–29). Routledge. 

 

Kroker, Michael. „Die lange Liste schwieriger und gefloppter SAP-Projekte“. WirtschaftsWoche, 17. Dezember 2018. https://www.wiwo.de/unternehmen/it/haribo-lidl-deutsche-post-und-co-die-lange-liste-schwieriger-und-gefloppter-sap-projekte/23771296.html. 


Patwardhan, D., Schneider, R., Ghosh, A., Nath, S., Buvat, J., Rietra, M., & Puttur, R. (2018). The digital supply chain’s missing link: Focus. Capgemini Research Institute.


PMI. (2020). Ahead of the Curve: Forging a Future-Focused Culture. Pulse of the Profession. https://www.pmi.org/learning/library/forging-future-focused-culture-11908 


Whitney, K. M., & Daniels, C. B. (2013). The Root Cause of Failure in Complex IT Projects: Complexity Itself. Procedia Computer Science, 20, 325–330. https://doi.org/10.1016/j.procs.2013.09.280 




Karl Klammer steuert die Logik hinter der künstlichen Intelligenz.
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